Leon Caspar

From the dawn of time to the end of days
I will have to run, away
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WOODKID - Iron

Name: Caspar
Vorname: Leon
Alter: 17 Jahre


Langsam fuhren die schmalen Finger über das alte, bereits vergilbte Papier. Philosophie. Altgriechisch. Nur eine Sprache wie jede andere, so leicht zu verstehen, wie die eigene Muttersprache, jedenfalls für den Jungen. Beinahe gelangweilt streifte der Blick der durchdringend blauen Augen über die Zeilen. 
Sacht strichen die Finger über das gestanzte Papier, mit Blindenschrift versehen. Interessiert an den Worten, nicht an dem Inhalt.
Schon immer war er von der Schrift fasziniert, die man mit den Händen las, ebenso wie von der Sprache, die man mit den Augen hörte. Keinen anderen Grund hatte es gegeben, Blindenschrift und Gebärdensprache zu lernen. Eigener Antrieb war es ausnahmsweise gewesen, der ihn dazu brachte, diese beiden zu erlernen. Keine der von Erwachsenen auferlegten Pflichten, die um jeden Preis zu versuchen schienen seinen Kopf bis zum Anschlag zu füllen.


Versuchend, sich zu erinnern an das, was er nur aus Erzählungen und vagen Erinnerungen kannte, trommelten seine Finger auf der Tischplatte. Verschwommene, undeutliche Bilder von fremden Männern, die ihn regelmäßig untersucht und getestet hatten, verwaschene Gestalten, Farbklekse, nicht mehr.
Zu jung war er gewesen, als dass selbst sein fotografisches Gedächtnis sich erinnern könnte. Versuchte, die verschwommenen Bilder mit den Worten seiner Mutter, die er so oft gehört hatte, zu verknüpfen, vergebens.


Irritiert fuhr er sich durch das dunkelblonde Haar, das in dem geringen Licht des späten Nachmittags schon beinahe braun wirkte, presste die vollen, doch blassen Lippen, die sich kaum von der Hautfarbe abhoben, aufeinander, beinahe trotzig gespitzt.
Die blauen Augen geschlossen, zogen sich die breiten, dunklen Augenbrauen darüber zu einem Stirnrunzeln zusammen, Ausdruck größter Konzentration, während er sich an den Tag zu erinnert versuchte, der sein Leben verändert hatte, während an seinen Ohren noch einmal die Worte seiner Mutter erklangen, die er schon beim ersten Mal verinnerlicht hatte und Wort für Wort wiederholen konnte. Die Geschichte, die sie lange erzählt hatte und heute zu vergessen versuchte.

Nicht lange, hatten sie das ruhige, unbeschwerte Leben gelebt, dass ihnen durch das Geld des Experiments ermöglicht werden sollte.
Früh hatte sie ihn aufgeklärt über die Umstände seines Lebens, weshalb er war, wie er war.
Sie war eine junge Frau gewesen, fühlte sich nicht gewachsen, der Verantwortung ein Kind großzuziehen, zu ernähren. Aus Angst, es nicht zu schaffen, obwohl der Vater des Kindes ihr zur Seite stand, jede Verantwortung zu übernehmen schwörend.


Schließlich wurden die Geldsorgen ihr abgenommen, wenn sie nur zustimmte, die Gene ihres Kindes manipulieren zu lassen, an dem Projekt teilzunehmen.
Eine Weile waren sie die glückliche, heile Familie, die sie sein sollten, gelegentlich von den harmlosen Besuchen der Wissenschaftler unterbrochen, die die Fortschritte des Jungen genaustens im Auge behielten. Einige Zeit verging und der regelmäßige Besuch blieb aus. Die junge Frau wurde skeptisch, argwöhnisch als Todesfälle junger Mütter und ihrer Kinder bekannt wurden. Erinnerte sich an ein paar der Namen, die sie erfahren hatte, als sie sich schwanger, nervös und unruhig mit anderen der werdenden Mütter unterhalten hatte. Verdacht schöpfend, verließen sie ihr nunmehr unsicheres Heim, ließen sich an einem anderen Ort nieder, doch auch hier waren sie nicht sicher.  Irgendwann hatte man sie gefunden.

Leon erinnert sich an diesen Tag nur dunkel, ein paar graue Flecken, die das allgemeine Schwarz dieser Erinnerung durchdringen, nicht genug, um als Farbe erkannt zu werden. Seine Mutter erzählte ihm, dass sein Vater sich den Angreifern in den Weg stellte, es irgendwie vermochte Frau und Kind Zeit zu verschaffen, ausreichend, ihnen das Leben zu retten, mit seinem eigenen bezahlend.


Irgendwie schafften es die Frau und der Junge zu entkommen, flohen - weit, lange. Sie nahmen einen anderen Nachnamen an, reisten viel. Niemals schien es seine Mutter lange an einem Ort auszuhalten, von Vorstellungen verfolgt, die jeden anderen als Paranoid ausgezeichnet hätten, war es dennoch so eine reale Bedrohung für die verängstigte, junge Frau und ihr Kind.


Nie lang genug an einem Ort, Kontakte zu knüpfen, das Kind von Privatlehrern unterrichtet, gedrillt. Das Wissen wurde in ihn hineingehämmert, ob er wollte oder nicht. Und obwohl er sich oft genug dagegen sträubte, konnte er nichts dagegen tun, das alles, was ihm vermittelt wurde ohne Umwege oder lange und wiederholte Erklärungen den Weg in sein Gehirn zu finden schien. Häufiger Themenwechsel, da er nur willig war, mitzuarbeiten, wenn er nicht gelangweilt war. Und allzu schnell langweilte ihn, was er mehr als ein paarmal gehört hatte.


Jahre vergingen, ohne das Leon lange ein Zuhause gekannt hätte, ohne dass er das innere einer Schule sah. Die Wechsel der Jahreszeiten zogen hektisch vorbei, als würde die Zeit vorbei fliegen, während sie von einem Ort zum anderen reisten, von einem Land zum nächsten, von Kontinent zu Kontinent, nie lange genug, um Gebrauch zu machen von der gerade erlernten Sprache. In dicke Mantel gehüllt im russischen Winter, deutlich wärmer der italienische Frühling, der spanische Sommer,  der englische Herbst und alle Orte und Jahreszeiten, die noch folgten.


Doch die Aufenthalte wurden länger, dehnten sich immer mehr, bis die Reisen und Umzüge schließlich endeten. Während die Geschehnisse von damals immer mehr in Vergessenheit zu geraten schienen, schien sich auch seine Mutter endlich zu beruhigen, die hektischen blauen Augen, wurden ruhiger, blieben an Gemälden hingen, an denen sie früher vorbei gehastet waren, die oft so angespannt aufmerksamen Gesichtszüge entspannten sich.


Seit er diese Geschichte das erste Mal gehört hatte, hatte er sich Rache geschworen, Rache für den Vater an den er sich kaum erinnerte. Nur der Nachhall des leeren Gefühls, das sein Tod damals hinterlassen hatte, war noch zurückgeblieben.
Rache für das Leben auf der Flucht, das seine Mutter und er wegen dieses "Projekts" führen mussten. Wut und Frustration über all das. Auch wenn seine Mutter, zu der er nie ein Wort von seinen Racheplänen gesagt hatte, ihn anflehte es nicht zu tun, zu bleiben, wo sie doch endlich ein ruhiges Leben führten.

"No one`s here to light the candle
No one`s here to light the way
It`s something I will have to handle my way

I've got to open up my eyes
Find a way to kill the boredom
Watch the time go by, now its time for me to get mine."

 

Trapt - Stay alive


Leon wurde in einer Schule angemeldet, was ihm mehr Freude bescherte, als die einsamen Stunden mit Privatlehrern und andererseits unendlich viel lästiger waren. Mehrere Klassen hatte er bereits übersprungen, war bei Weitem der Jüngste in seiner Klasse, passte selten auf und langweilte sich dennoch stetig, war es gewohnt, dass sich seiner Geschwindigkeit angepasst wurde, war frustriert über diese Änderung und gleichzeitig froh darüber, dass er sich eine Auszeit gönnen konnte, während die anderen zu schuften hatten. Galt als das kleine Wunderkind.
Lächelnd lehnte er sich zurück, als er weit früher als der unterste Durchschnitt seinen Abschluss erlangte.


Lernen hatte er noch nie gemocht, es schon immer für nutzlos gehalten. Viel mehr genoss er sein tägliches Training, dass ihm wesentlich mehr Spaß machte, als das sinnlose Ansammeln von Wissen. Früher hätte er gern irgendeinen Mannschaftssport ausgeübt, doch aufgrund der vielen Umzüge musste er sich mit Beschäftigung zufrieden geben, die er allein unternehmen konnte, machte Krafttraining, ein wenig Leichtathletik und seine besondere Vorliebe: diverse Kampfsportarten, die er sich beibringen ließ, wann immer er Gelegenheit dazu hatte und einen willigen Lehrer fand.


Ein loses Mundwerk und feuriges Temperament führten schon immer dazu, dass er auch außerhalb aller Regeln und Ringe oft dafür Verwendung fand, ein paar Techniken des Straßenkampfes dazulernte und in der Regel als strahlender Sieger hervorging, was ihm jedoch regelmäßig tadelnde Blicke und Standpauken seiner Mutter einbrachte.
Eigentlich offen und freundlich ist er doch leicht zu provozieren und wirft schnell all seine Manieren über Bord. Ein überraschender Charakterzug, den man ihm nicht unbedingt ansieht.

Oft gut gelaunt und gern Unfug treibend, kann er schonmal ohne Punkt und Komma reden, stellt die abenteuerlichsten Theorien und Thesen auf, gelegentlich selbst, wenn er die richtige Antwort kennt.
Oft ist er mit einem unheilvoll breiten Grinsen anzutreffen, wenn er etwas ausgefressen hat und es fällt ihm unglaublich schwer, sich zu entschuldigen, besonders wenn er wirklich Schuldgefühle verspürt, doch selbst unaufrichtig dahingeworfene Entschuldigungen fallen ihm schwer.


Er spricht aus, was er denkt und dabei ist es ihm egal, was andere davon halten. Frustriert und wütend versucht sogar andere zu einem Kampf zu provozieren, wenn er schlecht gelaunt ist.
Schmerz ist ihm nicht fremd, doch krank war er nie. Etwas wie Bauch- oder Kopfschmerzen, kennt er nicht, wenn es sich nicht um von Außen zugefügte Schmerzen handelt.
Es irritiert ihn immer mehr, macht ihn zornig, wenn er darüber nachdenkt, weshalb er so ist. Er ist kein Genie, kein schlicht und einfach überdurchschnittlich intelligenter und athletischer Junge, sondern einfach ein geglücktes, doch vertuschtes Experiment. Besonders in solch einer Stimmung sollte man ihn besser nicht reizen.

I don't wanna be afraid, I don't wanna run away
I don't want to be here fading it's more that I can take

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Red - Let go!

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